Montag, März 27, 2006

Das Blog oder die Kur der Menschen von sich selbst

Ich lebe in einer Traumwelt, in der Realitäten bis zur Unkenntlichkeit miteinander verschmelzen, sodass ich bei bestem Willen nicht mehr unterscheiden kann, ob sich gewisse Begebenheiten wirklich ereignet haben, wahrgenommen durch die Maske eines Rausches oder gar vollkommen nüchtern, oder ob sie einfach nur Teile eines Traumes (Tag oder Nacht, alben oder albern) waren. So ereignete sich vielleicht, dass mich jemand fragte, warum ich angefangen hatte ein derartiges Blog zu schreiben, nur um hinzuzufügen, dass sie die Notwendigkeit solches zu tun sicherlich gutheiße, wenn man sich zB auf Weltreise befinde, aber ansonsten doch direkt an der Sinnhaftigkeit dessen zweifle. Auch wenn sich diese Situation nie begeben hat - ein Punkt über den ich mir keineswesg sicher bin - wirft sie doch eine mehr als berechtigte Frage auf, vor allem da das bloggen in den letzten Jahren (hauptsächlich im englischsprachigen Raum) immer mehr an Bedeutung gewinnt.

Ich denke, wir sind alle Blutegel auf der Suche nach Emotionen. Der mit Abstand sicherste Weg hierzu ist zweifellos einfach die Erlebnisse anderer zu recyclen. Am einfachsten funktioniert dies sicherlich mit Hilfe von Seifenopern als Werkzeug. Diese zielen nämlich völlig überzogen darauf ab, ein gewisses Identifikationspotential in uns hervorzurufen und dienen uns somit quasi als mehr oder weniger starke Droge. Auch das bloggen schlägt hier in dieselbe Kerbe; mit dem Unterschied, dass wirkliche Erlebnisse erzählt werden, die aus diesem Grund nicht in einem solchen Ausmaß überzogen sein müssen, um uns mit ihnen identifizieren zu können. Doch die Freude am Lesen eines Blogs erklärt an sich noch lange nicht die Faszination, die das Schreiben eines solchen mit sich bringt.

Hier kommt nun meine Beichte, denn ich glaube, dass das Schreiben (und sei es auch nur so belanglose Trivialliteratur) auch nur den Wunsch der Menschen äußert, etwas Dauerhafteres als das Selbst an sich zu schaffen (vergleiche: Haus bauen, Kind zeugen, Baum pflanzen, ...). Doch auch dies ist nur die halbe Wahrheit. Wäre es nur der Wunsch etwas Dauerhaftes zu schaffen, würde es den Schreiber - oder gar Schriftsteller, um dem sich vermissen lassenden Pathos wieder die Türe zu öffnen - herzlich wenig interessieren, ob seine künstliche Lebensverlängerung tatsächlich gelesen wird (Nota Bene: das Geschriebene selbst muss gelesen werden, um überhaupt existieren zu können!). Natürlich liegt auch der Wunsch gelesen zu werden in jedem Autor, vor allem wenn es sich um etwas derartig autobiografisches wie ein weblog handelt, und zwar aus der Grundillusion heraus, verstanden und anerkannt zu werden.

Es ist alles abstoßend einfach, viel zu einfältig als Angebot - Werner Schwab

Ich werde mich jetzt dreckig, wie ich mich fühle, zurückziehen und mich mit der Hure meiner eigenen Einfachheit vergnügen... aber wer bist du zu urteilen, lieber Leser?

der baron reitet wieder